Der G-Kamin: Grünes Politikmanagement im föderalen Verbund

Analyse

Mit der G-Koordination haben die grünen Regierungsakteure der Länder informelle Strukturen etabliert, um sich untereinander und mit den Bundesgrünen abzustimmen. Eine Regierungsbeteiligung im Bund würde diese vor neue Herausforderungen stellen.

 

 

 

 

Eine Kamin ohne Feuer, davor Stühle und Tische
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Auf politisch höchster Ebene erfolgt die G-Koordination in zwei Kaminrunden

Große Koalitionen (d.h. aus CDU/CSU/SPD) gehen in der Regel mit einer schwachen parlamentarischen Opposition einher – u.a. durch die übergroßen Ressourcen der Regierungsfraktionen, durch formale Hürden, die die Nutzung parlamentarischer Kontrollrechte erschweren (z.B. Einrichtung von Untersuchungsausschüssen) sowie durch eine geringere mediale Präsenz der Opposition. Dies gilt auch für die nun beendete Legislaturperiode des Deutschen Bundestags.

Betrachtet man allerdings die Rolle von Bündnis 90/Die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode, dann ist die Partei trotz dieser strukturell schwierigen Situation in der Bundesgesetzgebung vergleichsweise einflussreich. Ursächlich dafür ist der bundesdeutsche Föderalismus: Aktuell regieren die Grünen in zehn Bundesländern und sind damit eine relevante Größe im Bundesrat. Für eine Mehrheit im Bundesrat müssen mindestens zwei dieser zehn G-Länder gewonnen werden. Darüber hinaus sind die Grünen ein aktiver Verhandlungspartner in Abstimmungsrunden zwischen Bund und Ländern, d.h. im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag ebenso wie in den Fachministerkonferenzen der Länder und in den Ministerpräsidentenkonferenzen sowie den ihr vorgeschalteten Konferenzen der Chefs der Staats- und Senatskanzleien.

Aufbau und Professionalisierung der parteiinternen Bund-Länder-Koordination

Um die grüne Regierungsmacht der Länder auch bundespolitisch zu nutzen, bedarf es einer effektiven parteiinternen Abstimmung. CDU/CSU und SPD haben informelle Gremien zur Bund-Länder Koordination seit Jahrzehnten etabliert. Mit Aufbau der sogenannten G-Koordination haben die Grünen zu den anderen Parteien aufgeschlossen und Strukturen geschaffen, in welchen sich die Regierungsgrünen aus den Ländern untereinander und mit der Bundespartei und Bundestagsfraktion abstimmen. Die folgende Abbildung zeigt eine schematische Darstellung über die Entwicklung der G-Koordination, die sich seit 2007 schrittweise institutionalisiert und professionalisiert hat.

Professionalisierung der G-Koordination seit 2007

Wie aber funktioniert die G-Koordination? Welche Akteure übernehmen welche Aufgaben, und welche Auswirkungen haben die Landtagswahlen 2017 auf diese informellen Strukturen? Die Struktur der Koordination lässt sich etwas vereinfacht wie folgt einteilen: 

  1. Fachkoordination durch die Bundesratsreferent/innen der Landesministerien,
  2. G-Koordination durch die G-Koordinator/innen der Landesvertretungen sowie
  3. die beiden Kaminrunden des politischen Spitzenpersonals.

Die G-Koordination

Diese drei Akteursgruppen werden nachfolgend genauer betrachtet. Generelles Ziel der Koordination ist dabei ein geschlossenes Auftreten der Partei als Ganzes. Zum einen soll uneinheitliches Abstimmungsverhalten in Bundestag und Bundesrat vermieden werden, zum anderen sollen zwischen der Bundes- und Landesebene Synergien geschaffen werden, etwa durch Initiativen im Bundesrat und gemeinsame, ebenenübergreifende thematische Schwerpunkte.

1. Fachkoordination durch Bundesratsreferent/innen

Für die Politikfelder, in denen die Grünen bundesweit mehrere Ministerien verantworten, wurden thematische Arbeitskreise gebildet: zu Umwelt, Energie, Verkehr, Justiz usw. In dieser Fachkoordination koordinieren die Bundesratsreferent/innen das Abstimmungsverhalten ihrer Landesministerien für die Ausschüsse des Bundesrates. In den meisten Fällen sind die Referent/innen in der jeweiligen Landesvertretung in Berlin angestellt, in einigen Fällen aber auch im Fachressort in der Landeshauptstadt. Zur Verzahnung zwischen Landes- und Bundesgrünen wirken an dieser Koordination auch Referent/innen der Bundespartei und der Bundestagsfraktion mit. Für die Koordination müssen fachliche, koalitionäre und parteipolitische Positionen berücksichtigt und weitgehend in Einklang gebracht werden, etwa zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung. Die Referent/innen identifizieren mögliche Konflikte, die auf Ebene der G-Koordination bzw. der politischen Spitzenrunden behandelt werden.

Neben diesen fest etablierten Arbeitskreisen der Fachkoordination bilden sich immer wieder ad-hoc Arbeitsgruppen für politisch besonders relevante Themen. So wurden beispielsweise zur Flüchtlingspolitik oder zum Datenschutzgesetz Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen über den Verlauf weniger Monate Vorgehen und Kommunikationslinien abgestimmt wurden.

2. G-Koordination durch die G-Koordinator/innen in den Landesvertretungen

Die G-Koordination im föderalen Kontext wird im Wesentlichen durch Mitarbeiter/innen aus den Vertretungen der Länder beim Bund geleistet. Sie arbeiten dort für ihre jeweilige Landesregierung und üben neben den dienstrechtlich definierten Aufgaben auch die informelle Rolle für die Bund-Länder-Koordination grüner Politik aus. Die Mitarbeiterebene dieser Koordination bereitet die Kaminrunden des politischen Spitzenpersonals vor. Sie ist der Maschinenraum grüner Politik in der föderalen Arena.

Die G-Koordinator/innen aus den Landesvertretungen bilden zusammen mit Mitarbeiter/innen aus der Bundestagsfraktion, dem Bundesvorstand und der grünen Fraktion im Europäischen Parlament die Arbeitsebene der G-Koordination. Zum einen werden hier die zentralen Ergebnisse und Empfehlungen der Fachkoordination ausgetauscht und zusammengeführt. So können einzelne G-Länder auf die Expertise anderer G-Länder zu einer Vielfalt an Themen und Vorgängen zurückgreifen, die sie selbst nicht leisten könnten. Insofern schafft die G-Koordination Synergien und ist gerade für kleinere G-Länder von hoher Relevanz.

Zum anderen bereitet die G-Koordination die Kaminrunden der Spitzenpolitiker vor und leistet eine politisch-strategische Beratung. Das beinhaltet die frühzeitige Identifizierung möglicher unterschiedlicher Bewertungen von Gesetzesinitiativen der Bundesregierung und Vorschläge für eigene Initiativen im Bundesrat. In den letzten Jahren haben die Koordinator/innen aus Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg diese Gruppe koordiniert. Mit dem Regierungswechsel in Düsseldorf und dem Ausscheiden der nordrhein-westfälischen Grünen aus der G-Koordination im Sommer 2017 übernehmen zunächst die niedersächsischen Grünen diese Aufgabe.  

3. Kaminrunden der politischen Spitzenakteure

Auf politisch höchster Ebene erfolgt die G-Koordination in zwei Kaminrunden. Der sogenannte G-Kamin wurde im April 2011 gegründet und tagt Donnerstagabends vor dem Bundesrat. Seine wichtigste Aufgabe liegt darin, den Austausch über politisch besonders relevante Fragen der Tagesordnung des Bundesrates zu ermöglichen und ein Forum dafür zu bieten, Konflikte zu moderieren und Kommunikationslinien zwischen Bundes- und Landesgrünen abzustimmen.

Für die Regierungsgrünen in den Ländern nehmen Ministerpräsident Kretschmann, die neun stellvertretenden Ministerpräsident/innen sowie weitere Minister/innen teil. Darüber hinaus haben die Fraktionsvorsitzenden der grünen Landtagsfraktionen, wo die Grünen regieren, Zutritt. Vertreter aus Ländern, in denen die Grünen nicht regieren, nehmen an dieser Kaminrunde nicht teil. Die Bundesseite wird durch die Doppelspitzen von Partei und Bundestagsfraktion und deren Geschäftsführer/innen vertreten, die europäische Ebene durch zwei bis drei führende Abgeordnete aus der grünen Europagruppe. Darüber hinaus haben leitende Mitarbeiter/innen Zugang zum G-Kamin. Anfangs noch eine überschaubare Runde, ist die Teilnehmerzahl des G-Kamins auf mittlerweile rund 50 Personen angewachsen. Er gilt damit als erweiterte Spitzenrunde.

Weil die mittlerweile beachtliche Größe des G-Kamins eine Diskussion in vertraulicher Atmosphäre erschwert, wurde im Jahr 2015 der Kleine G-Kamin gegründet, der den Sitzungen des G-Kamins vorgeschaltet ist. Er wird auch MP-Runde genannt, da an ihm lediglich der Ministerpräsident, die neun stellvertretenden Ministerpräsident/innen sowie die Spitzen der Bundespartei, Bundestagsfraktion und der deutschen Grünen im Europäischen Parlament teilnehmen. Mitarbeiter/innen haben nur in Ausnahmefällen Zutritt. Durch seine Zusammensetzung gilt der Kleine G-Kamin als die zentrale Spitzenrunde von Bündnis 90/Die Grünen in der Bund-Länder-Koordination. Er ermöglicht den vertraulichen Austausch auf höchster Ebene zwischen Bundes- und Landesgrünen.

In beiden Kaminrunden werden Themen von hoher politischer Bedeutung besprochen. Neben den Abstimmungsprozessen für die Arbeit im Bundesrat und der Verständigung zu geplanten grünen Initiativen sind die Treffen eine wichtige Plattform für den länderübergreifenden Austausch der Regierungsgrünen. Grüne Landesverbände in der Opposition sind nicht eingebunden. Die Organisation und inhaltliche Vorbereitung beider Kaminrunden erfolgt durch Baden-Württemberg und dessen Bevollmächtigten Volker Ratzmann.

Wandel und Zukunft der G-Koordination

Mit der G-Koordination wurden in den letzten zehn Jahren informelle Strukturen aufgebaut, mit denen sich die grünen Regierungsakteure der Länder untereinander und mit den Bundesgrünen abstimmen. Auch wenn die Koordination als solche nicht alle Differenzen überbrücken soll, versucht sie durch eine stärkere Koordination ihrer durch die Beteiligung an zahlreichen Landesregierungen gewachsenen Bedeutung im föderalen Bundesstaat und der Bundesgesetzgebung gerecht zu werden. Dabei entstanden jedoch keine statischen Strukturen, vielmehr werden die Koordinationsmuster mit Zunahme an oder Verlust von Regierungsbeteiligungen regelmäßig angepasst. Sichtbarster Ausdruck davon ist die Schaffung des Kleinen G-Kamins als Reaktion auf die vielen Regierungsbeteiligungen.

Wie robust diese Strukturen auf Dauer sind, muss sich zeigen. Der Verlust von Regierungsbeteiligungen wie zuletzt von Nordrhein-Westfalen dürfte die Konsolidierung der Strukturen zur Folge haben. Um einer Schwächung durch mögliche weitere Regierungsverluste zu vermeiden, könnte ein Teil der Koordinierung verstärkt durch die Bundesseite erfolgen. Dafür müssten allerdings die G-Länder bereit sein, der Bundesseite hier eine größere Rolle einzuräumen. Dass sich die Bundespartei die Aufgabe gestellt hat, künftig über Regierungserfolge in den Ländern und grünen Initiativen im Bundesrat zu berichten, ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Schließlich könnte sich auch der Ausgang der Bundestagswahl auf die parteiinterne Koordination auswirken. Eine Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund würde die Komplexität der Abstimmung zwischen Bund und Ländern deutlich erhöhen. In Zeiten der Großen Koalition reichte es, die grünen Positionen zu Initiativen der Bundesregierung abzustimmen. Regieren die Grünen im Bund, wird es darauf ankommen, schon frühzeitig – etwa bei der Formulierung von Gesetzen – die Interessen der grün (mit-)regierten Länder zu berücksichtigen. Die Abstimmung würde komplexer, weil mehr Teilnehmer/innen (zum Beispiel Bundesminister/innen) involviert und auch der Arbeitsrhythmus von Bundeskabinett, Koalitionsausschuss und Bundestag berücksichtigt werden müsste. Nicht zuletzt könnte die parteiinterne Verschiebung des Machtgefüges zugunsten der Bundesseite Spannungen mit sich bringen und Konflikte offener als bisher zum Tragen kommen.

Kurzum, eine Regierungsbeteiligung im Bund würde Druck erzeugen, die derzeitigen Strukturen grundlegend anzupassen. Auf die Erfahrungen während der letzten Regierungsbeteiligung der Grünen im Bund (Rot-Grün von 1998-2005) könnte dabei nur beschränkt zurückgegriffen werden. Damals leistete der Parteirat die parteiinterne Koordination, was auch deshalb gelang, weil weniger Akteure eingebunden werden mussten und die politische Konfrontation zwischen den beiden politischen Lagern Rot-Grün und Schwarz-Gelb klar ausgeprägt war: Die Grünen regierten damals in nur drei Ländern (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg) mit der SPD. Angesichts der vielen Regierungsbeteiligungen in den Ländern mit lagerübergreifenden Koalitionen kann der Parteirat die komplexe Aufgabe der Koordination heute nicht leisten, notwendig ist vielmehr eine regierungsnahe Koordination der Bundes- und Landesregierungsakteure.

Die Entwicklung der G-Koordination zeigt aber, dass die Grünen als lernende Organisation durchaus in der Lage waren, die neuen Anforderungen, die das Regieren in den Ländern mit sich brachte, organisatorisch abzubilden. Insofern ist anzunehmen, dass im Falle eine Regierungsbeteiligung im Bund Veränderungen vorgenommen werden, um die nunmehr gut etablierte Koordination von bundes- und landespolitischen grünen Regierungsinteressen weiter zu entwickeln und fortzusetzen.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Grüne Regierungspraxis – Regieren im föderalen Verbund".